Meilenstein in der Krebsbehandlung entwickelt

Meilenstein in der Krebsbehandlung entwickelt

Auricher Physiker melden Patent an

Für schwerwiegende Probleme einfache Lösungen finden – das gehört ohne Frage zu den wohl herausforderndsten Aufgaben.

Christopher Stegmann und seine Kollegen haben eine solche Lösung gefunden – und das in einem Bereich, in dem diese Lösung, ohne zu dramatisieren, Leben retten kann. Stegmann arbeitet seit 10 Jahren in der Abteilung für Strahlentherapie im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) an der Ubbo-Emmius-Klinik in Aurich und leitet dort die medizinische Physik. Er ist dort unter anderem zuständig für die Bestrahlungsgeräte.

„In der Strahlentherapie haben wir die Herausforderung, dass die Strahlung, mit der therapiert wird, zwar sehr wirkungsvoll gegen Krebszellen ist, aber die Strahlung an sich wiederum Krebs auslösen kann, wenn gesundes Gewebe bestrahlt wird. Daher müssen die Stahlungsfelder so eingestellt werden, dass so viel betroffenes Gewebe und gleichzeitig so wenig gesundes Gewebe wie möglich bestrahlt wird, was in vielen Fällen schwierig ist“, erklärt Stegmann.

Ein Beispiel hierfür ist die Behandlung von Brustkrebs. Brustkrebs ist mit etwa 70.000 Fällen im Jahr die mit Abstand häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Laut der deutschen Krebsgesellschaft erkrankt eine von acht Frauen im Laufe Ihres Lebens an der Krankheit. Eine Brustkrebsbehandlung erstreckt sich in der Regel über 25 Behandlungen.

„Das heißt, die Patientinnen müssen fünfmal die Woche während der Bestrahlung immer genau in der gleichen Position liegen, um ein bestmögliches Ergebnis zu bekommen“, so Stegmann

 

Um dies zu gewährleisten gibt es, grob gesagt, zwei verschiedene Möglichkeiten:

Methode 1 - die Patientin liegt auf dem Rücken

Die gängigste Methode in der Strahlenbehandlung von Brustkrebs ist bisher, dass die Patientin auf dem Rücken liegt und die Arme überkreuzt über den Kopf gehalten werden. Der Vorteil ist, dass so eine konstante Körperposition über den gesamten Behandlungszeitraum gewährleistet werden kann.

Da es sich bei einer Brust allerdings um weiches Gewebe handelt, fällt sie herunter und legt sich zum Teil von außen über Brustkorb und innere Organe, wie die Lunge oder das Herz.

„Wir wollen die Brust natürlich nach Möglichkeit komplett bestrahlen und die Strahlung so einstellen, dass sie den Brustkorb nur streift, um den oder die Tumore effektiv zu zerstören, ohne dabei gesunde Organe zu stark zu schädigen“, sagt Stegmann.

Werden beispielsweise Gefäße am Herz getroffen, kann dies im schlimmsten Fall zum Herzinfarkt führen. Eine Behandlung ist also in der Regel ein Kompromiss in dem abgewägt wird, wie viel von der Brust bestrahlt werden kann ohne die Risikoorgane zu stark zu gefährden.

Das ist heutzutage wichtiger denn je, weiß Stegmann.

„Früherkennungsprogramme für Krebs werden heute immer früher angeboten und auch angenommen. Das führt dazu, dass Tumore bei Frauen früher erkannt werden, was wiederum dazu führt, dass die Patientinnen immer jünger werden. Und das wiederum führt dazu, dass bei ihnen Spätfolgen der Therapie wahrscheinlicher auftreten können, die in fortgeschrittenem Alter vielleicht gar nicht zum Tragen gekommen wären. Daher haben wir gesagt, wir müssen etwas tun“, sagt Stegmann.

 

Methode 2 - der Patient liegt auf dem Bauch

Um diese Risiken für Herz und Lunge zu minimieren, wurde bereits von anderer Stelle die Idee entwickelt, die Patientinnen auf dem Bauch zu lagern. Dies stellt sicher, dass die Brust durch die Schwerkraft weiter vom Körper entfernt ist und die Strahlung besser auf den Tumor fokussiert werden kann. Jedoch stellte sich relativ schnell heraus, dass herkömmliche Bestrahlungstische für diese Methode ungeeignet sind, da die Brüste entweder zusammengedrückt würden und/oder die notwendige Beweglichkeit des Bestrahlungsgeräts eingeschränkt wäre.

"Es gibt bereits Aufbauten verschiedener Firmen, die eine Bauchlage theoretisch möglich machen. Die Idee ist gut, jedoch kommen wir dann mit dem Bestrahlungsgerät nicht mehr so gut wie gewohnt um den Behandlungstisch. Der Tisch müsste also während der Behandlung verschoben werden, wodurch wir allerdings nicht mehr ganz genau sagen können, wie die Patientin vorher gelegen hat", so der Physiker.

Bei einer Behandlung, bei der jeder Millimeter entscheidend ist, ein erhöhtes Risiko.

 

Eine Weltneuheit

Und nun kommt die Idee der Auricher Physiker ins Spiel, die sie gemeinsam mit Prof. Dr Jürgen Trzewik, jungen Ingenieuren der Hochschule Hamm-Lippstadt und Mitarbeitern der Firma GermanPhysics GmbH realisiert haben: Ihre Lösung besteht darin, den Bestrahlungstisch so zu modifizieren, dass er verlängert wird, statt ihn zu erhöhen, ohne dass der Tisch dabei an Stabilität verliert. Die Statik des Lagerungssystems war dabei die größte Herausforderung. Zunächst musste das Material geprüft werden. Metall würde die Strahlung zu stark absorbieren, Holz wäre zu brüchig und außerdem zu flexibel, daher entschied man sich für eine Platte aus Carbon, die die Patientin in Bauchlage optimal unterstützt, ohne die Strahlung zu sehr zu beeinträchtigen. Es wurden Fördermittel beantragt, ein Prototyp gebaut, dieser wurde immer wieder getestet und optimiert, dann wurden Gutachten angefertigt. Mittlerweile wurden alle Gutachten positiv beschieden und die Konstruktion konnte unter dem Namen „X-akt Mamma RTX“ erfolgreich zum Patent angemeldet werden. 

Die nächsten Schritte beinhalten nun klinische Tests, bei denen die neue Lagerungstechnik an Patientinnen erprobt wird. Hierzu müssen ethische Genehmigungen eingeholt und die Prüfungen gründlich dokumentiert werden, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Methode am Menschen zu gewährleisten.

 

Ein Blick in die Zukunft

Die Entwicklung solch innovativer Techniken zeigt, wie wichtig kontinuierliche Forschung und Anpassung in der medizinischen Physik sind. Das neuentwickelte Lagerungssystem ist ein Beispiel dafür, wie technologische Innovation und wissenschaftliche Forschung Hand in Hand gehen, um die Lebensqualität von Krebspatienten zu verbessern.

Nun hoffen Stegmann und seine Kollegen, dass die nötigen Praxistests genauso positiv verlaufen, wie die vorherigen Prüfungen, damit das System schon bald zum Einsatz kommen kann – und das möglichst weiträumig.

„Uns geht es nicht um den Profit. Es gibt andere Systeme, die ebenfalls versuchen, den bisherigen Schwachstellen der Brustkrebsbestrahlung entgegenzuwirken, wie zum Beispiel Geräte, die die Atmung der Patientin beachten und nur in optimaler Lage bestrahlen. Aber solche Systeme kosten mehrere hunderttausend Euro, das können vor allem kleinere Kliniken nicht aufbringen. Wir wollen ein System schaffen, das sich jede Klinik leisten kann, um damit effektiv helfen zu können“, sagt Stegmann.